Abi81 an Abi06 – Christian-Gymnasium Hermannsburg

Liebe Abiturientinnen, liebe Abiturienten, meine Damen, meine Herren

Danke zunächst für die Einladung durch die Schulleitung, als sog. silberner Abitur-Jahrgang an ihrer Entlassungsfeier teilnehmen zu dürfen. Ich habe vor 25 Jahren hier an gleicher Stelle gesessen und trotz damals bei uns überwiegender Partylaune hat diese Feier schon auch Erinnerungen hinterlassen.
Unser Schulleiter, Herr Stegmann formulierte damals (1981) und ich zitiere ausschnittweise: „Die Gesellschaft, in die sie nun hinausgehen ist in fast all ihren Teilen gekennzeichnet von einer bedrückenden Orientierungslosigkeit und einem erschreckenden Mangel an Zuversicht…
… gemeinsame Wert- und Normvorstellungen sind immer schwerer auszumachen. Auch die Erwachsenen sind kaum in der Lage lohnenswerte Ziele aufzuzeigen…“

Es scheint, als könne man auch heute noch aus einer bestimmten Perspektive die Gegenwart so beschreiben. Eine Frage der jeweiligen Perspektive oder Position also?
So ist es für mich nicht verwunderlich, dass die Anregungen, die meine ehemaligen Mitschülerinnen und Mitschüler zu unserer Rolle am heutigen Tage einerseits und möglichen Ratschlägen an sie andererseits gaben, nur zu unterschiedlich ausfielen:

– Zukunft gibt’s nicht im Rückspiegel.
– Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal Fresse halten.
– Was heisst es, etwas mit auf den Weg geben? Eigentlich doch nur, viele Wege und Irrwege zu versperren. Wir sollten Mut machen, jeden Weg und Irrweg auszuprobieren, selbst Sackgassen haben einen Sinn.
– Seid neurgierig und bereit zur Veränderung. Jeder hat ein enormes Potenzial.
– Stellt Fragen. Fragen stellen ist kein Zeichen von Dummheit, … Fragt, fragt und lernt. Ach ja, und reist in die Welt.
– Orientierung bekommt man eben nicht mehr geliefert, sondern muss selbst erworben werden.
– Achtung vor der Existenz und der Meinung anderer Menschen. Aufbauend auf dieser Achtung gäbe ich dem Abiturjahrgang 2006 keine guten Ratschläge mit, sondern machte das Angebot, miteinander zu reden, um Verständnis füreinander zu erzeugen oder einfach Kontakt zu erhalten.

Vielleicht ist es zusammenfassend heute wie damals schon, dass wir in einer komplexen Welt ein viel stärkeres nebeneinander von Unterschiedlichem und Widersprechendem ertragen lernen müssen und Eindeutigkeiten, Herausragendem und überdauernden Wahrheiten eher misstrauen als mit ihnen rechnen sollten.
Insofern wäre es gar nicht so verkehrt, wenn sie das mit ihrem Leben, mit ihren Werten, ihren Grenzen und ihren Wegen einfach selbst in die Hand nehmen und erfahren würden.

Ich möchte sie nun auch in Anbindung an das zuvor Zusammengefasste auf 4 Überlegungen aufmerksam machen, die mich immer wieder mal beschäftigt haben:
1. Karl Poppers Äußerungen zu Wissen: „Wir wissen nicht, wir raten. Alles, was wir wissen, ist nur unter Vorbehalt gültig. Unter dem Vorbehalt der Widerlegung.“
2. Die Frage der Konstruktivisten danach, ob es sich bei Ordnungen, Zahlen, Formeln, Symmetrien, Naturgesetzen, Gegenständen und Taxonomien um Entdeckungen oder Erfindungen handelt.
3. Das Bild der Differenz von Kathedrale und Bazar zur Verdeutlichung dessen, was Netzstrukturen ausmachen können.
4. Das Cluetrain-Manifest und ich zitiere die Letzte der 95 Thesen: We are waking up and linking to each other. We are watching. But we are not waiting. (Wir sind aufgewacht und verbinden uns miteinander. Wir beobachten. Aber wir warten nicht.)

Wir möchten ihnen heute eine neue Form der Rede übergeben, eine Form der Teilnahme, auch eine Form der Nachhaltigkeit. Das von mir Gesagte finden sie schon jetzt zum Nachlesen, aber auch zum Kommentieren, zur Äußerung ihrer Überlegungen oder einfach zum weiterführenden Gespräch in einem Weblog und zwar vorläufig unter der Subdomain:

abi06.geheimrat.com

Auch die übrigen Reden könnten dort veröffentlicht und besprochen werden.
Sagen sie uns, was sie zu sagen haben.

Und nun auch von mir stellvertretend für den Jahrgang 1981
herzlichen Glückwunsch zu ihrem Abitur.

erwin liedke